THE MUSEUM

Die Fälle - die Exhibits



Hühnerfarm-Mord Crowborough
Norman Holmes Thorne

 

DER WESLEY-HÜHNERFARM-MORD

Crowborough, Sussex

 

Exhibit: Tor der Hühnerfarm

   

   Wandert man die enge und abschüssige Luxford Road hinunter und passiert die Einfahrt zum Luxford Drive, gelangt man zu einer Reihe kleiner Cottages auf der rechten Seite. Links davon schließt sich ein unkrautüberwuchertes Grundstück an, das sich bis zur Luxford Lane erstreckt. Dem gegenwärtigen Pächter zufolge gedeiht hier seit über 70 Jahren nichts als Unkraut, denn der Boden ist verflucht. Schuld daran ist ein Verbrechen, das 1924 Schlagzeilen machte und landesweit für Entsetzen sorgte: der sogenannte Wesley-Hühnerfarm-Mord. Auf diesem Grundstück wurde er begangen. Die ehemalige Einfahrt ist noch zu erkennen, wenngleich dichtes Dornengestrüpp den Zugang heute unmöglich macht.

    Norman Holmes Thorne war 19 und arbeitslos, als er 1921 aus London hierher kam. Mit dem Vorsatz, es innerhalb weniger Jahre als Geflügelzüchter zu bescheidenem Wohlstand zu bringen, legte er auf dem Gelände umzäunte Ausläufe und Bruthäuser für seine Hühner an und errichtete eine schmucklose Holzbaracke für sich selbst. Obwohl er während der folgenden drei Jahre Tag und Nacht mit größtem Enthusiasmus arbeitete, ließ der erhoffte Wohlstand auf sich warten. Die wenigen Einkünfte reichten nicht einmal, um die anfallenden Kosten zu decken, und Anfang 1924 hatte sich ein beachtlicher Schuldenberg angehäuft.

   

Opfer Hühnerrfarm-Mord
Elsie Cameron

   Vermutlich wäre Norman mit diesen Schwierigkeiten fertig geworden, wäre da nicht die neurotische Elsie Cameron gewesen, seine zwei Jahre ältere Verlobte. Norman hatte sie 1920 in London kennen gelernt und sehr schnell festgestellt, dass mit ihr einiges nicht stimmte: Sie war krankhaft eifersüchtig, machte ihm hysterische Szenen, wenn er sich um ein paar Minuten verspätete, und bezichtigte ihn grundlos der Untreue. Der gutmütige Norman tat sein Bestes, um ihre Zweifel zu zerstreuen. Er schrieb ihr herzliche Briefe, radelte zwei- oder dreimal die Woche von Crowborough nach London, wo Elsie bei ihren Eltern wohnte. All dies nützte indessen nichts. Sie verlangte als echtes Zeichen seiner Liebe die Verlobung. Doch auch nachdem sich Norman darauf eingelassen hatte, gingen die Eifersuchtsszenen mit unverminderter Heftigkeit weiter. Außerdem machte es sich Elsie zur Gewohnheit, ihm auf der Hühnerfarm Überraschungsbesuche abzustatten.

 

  Für Norman kam die Wende im Frühjahr 1924. Während eines Tanzabends lernte er Bessie Coldicott kennen. Sie war fröhlich, offenherzig und freiheitsliebend - das genaue Gegenteil seiner Verlobten. Er verliebte sich in das Mädchen und teilte Elsie mit, die Verlobung müsse aufgehoben werden. Mit einer Konkurrentin und der finsteren Aussicht auf ein Leben in Einsamkeit konfrontiert, sah sich Elsie zu drastischeren Maßnahmen gezwungen. Umgehend schrieb sie Norman einen Brief, in dem sie behauptete, schwanger zu sein - nun müsse er sie heiraten! Norman durchschaute die Lüge und schrieb zurück, er habe sich für Bessie entschieden. Elsies Antwort ließ nicht lange auf sich warten:

 

   „(...) ich erwarte von dir, dass du unsere Hochzeit so bald wie möglich in die Wege leitest. Ich glaube wirklich, du solltest mir in deinen Briefen erfreuliche Dinge schreiben (...). Der Ärger ist sehr schlecht für das Baby. (...) bald wird es jeder sehen können, und vor Weihnachten will ich verheiratet sein.“

 

  Am 27. November erklärte er ihr freundlich, aber bestimmt, er könne ihre Ausbrüche nicht länger ertragen und werde daher nicht sie, sondern Bessie heiraten. Verbittert schrieb Elsie am 28. November:

 

   „Niemals hätte ich gedacht, dass du zu solcher Täuschung fähig wärst. Du hast mich betrogen (...). Du bist mit mir verlobt, und ich habe ein Anrecht auf dich (...). Nun, Norman, ich erwarte, dass du mich heiratest und mit dem anderen Mädchen so bald wie möglich Schluss machst. Mein Baby muss einen Namen haben (...) Für immer und ewig, deine dich liebende Elsie.“

 

   Am Morgen des 5. Dezember packte sie ihre Sachen, fuhr nach Crowborough und verschwand spurlos.

   

Thorne mit Hühnern an jenem Platz, an der er Teile der Leiche versteckte.
An dieser Stelle lagen Teile der Leiche vergraben.

Fünf Tage später erkundigten sich ihre Eltern bei Norman nach Elsies Verbleib. Der reagierte erstaunt: Nein, er habe sie nicht gesehen. Vielleicht sei es hilfreich, sie als vermisst zu melden...

Die polizeilichen Ermittlungen begannen am 12. Dezember mit einem Besuch der Hühnerfarm. Norman schien die Beamten nach Kräften unterstützen zu wollen und stellte ihnen bereitwillig ein Foto von Elsie Cameron zur Verfügung. Auch war er den aus allen Teilen des Landes herbeigeeilten Presseleuten gegenüber äußerst aufgeschlossen. Stolz führte er sie auf seinem Grundstück herum, gab Interviews und ließ sich in Gummistiefeln mit seiner Katze, dem niedlichen Hund und den Hühnern ablichten. Einen Reporter bat er, ihn an einer ganz bestimmten Stelle zu fotografieren. Wie später klar wurde, hatte er genau dort Teile von Elsies Leiche vergraben. Norman genoss es, im Rampenlicht zu stehen. Doch ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er dadurch bereits die ersten Schritte in Richtung Galgen getan.

Kurz nachdem Elsie Camerons Portrait in den Zeitungen erschienen war, meldeten sich zwei Arbeiter bei der Polizei. Sie gaben an, das Mädchen am Abend des 5. Dezember mit einer Reisetasche in der Hand auf dem Weg zur Hühnerfarm gesehen zu haben. Die Polizei ging der Spur nach, konnte aber keinerlei Beweise für die Richtigkeit ihrer Aussage finden. Norman wurde diesbezüglich befragt, konnte aber jeden Verdacht zerstreuen. Doch einen Monat später wendete sich das Blatt, als eine weitere Zeugin die Aussage der Männer bestätigte.

Mrs. Annie Price hatte sowohl die Arbeiter, als auch das Mädchen mit der Reisetasche gesehen. Eine Tatsache, die ihr entfallen war, wie sie zugab, doch sei ihre Erinnerung durch die fortwährenden Presseberichte aufgefrischt worden. Und am 14. Januar 1925 nahm Scotland Yards Chief Inspector Gillan Norman Thorne in dessen Holzbaracke fest.

 

Zwei Beamte in Zivil Graben unweit von Holmes' Wohnbaracke.
Die Polizei beginnt auf der Farm zu graben.

Später am Nachmittag kehrte der Inspector in Begleitung mehrerer mit Spaten bewaffneter Constables zur Hühnerfarm zurück. Diese stießen am folgenden Morgen im Kartoffelbeet nahe des Zufahrtstors in 50 cm Tiefe auf Elsies Reisetasche.

Gillan unterrichte Norman Thorne über den Fund und fragte ihn, ob er eine Erklärung dazu abgeben wolle. Dies tat er nach reiflicher Überlegung um acht Uhr abends. Seiner Aussage zufolge war Elsie Cameron am späten Nachmittag des 5. Dezember unangekündigt auf der Farm erschienen:

 

„Ich fragte sie, weshalb sie hergekommen sei, ohne geschrieben zu haben, und wo sie zu schlafen beabsichtige. Sie erwiderte, sie beabsichtige, in der Hütte zu schlafen; außerdem würde sie solange bleiben, bis sie verheiratet sei.“

 

Wie Norman weiter aussagte, hatte er Elsie in der Hütte zurückgelassen und bei Bekannten eine Bleibe für sie suchen wollen. Doch er hatte niemanden angetroffen. Als er zu ihr zurückkehrte, war es zum Streit gekommen, da er unverzüglich zu einer Verabredung mit Bessie Coldicott aufbrechen wollte. Elsie aber versuchte ihn mittels sexueller Avancen zum Bleiben zu überreden. Er ging trotzdem, und ließ die ehemalige Verlobte in der Holzbaracke zurück. Als er gegen halb zwölf Uhr nachts heimkam, fand er Elsie in der Hütte am Ende eines Seils vom Querbalken der Decke baumelnd vor. Sie hatte Selbstmord begangen.

 

„Ich schnitt das Seil durch und legte sie aufs Bett. Sie war tot. Ich stand kurz davor, zu Doktor Turtle zu gehen und jemanden herauszuklopfen, der die Polizei benachrichtigte (...) Ich machte mir die Lage klar, in der ich mich befand (...) holte meine Bügelsäge hervor und sägte ihr die Beine und den Kopf im Schein des Feuers ab.“

 

Auf der Farm waren die Ausgrabungen derweil weitergegangen. In einer großen Keksdose wurde schließlich Elsies Kopf gefunden; ein vergrabener Kartoffelsack enthielt ihre Beine und den Torso. Norman Holmes Thorne wurde unter Anklage gestellt.

 

Der Gerichtsmediziner Sir Bernard Spilsbury in seinem Laboratorium.
Sir Bernard Spilsbury

Das Verfahren gegen ihn fand in Lewes statt.

Dort kam es zum Schlagabtausch zwischen den Sachverständigen. Die Anklagevertretung rief Bernard Spilsbury in den Zeugenstand, die Verteidigung acht weniger namhafte Pathologen.

Spilsbury (wegen seines als unfehlbar geltenden Sachverstandes unter skeptischen Kollegen auch als der „Heilige Sankt Bernard“ bekannt) fand keinerlei Hinweis auf einen Tod durch Erhängen. Er ging im Gegenteil davon aus, dass das Opfer infolge brutaler Schläge einen Schock erlitten hatte und daran gestorben sei. Der irische Gerichtsmediziner Dr. Robert Brontë legte Beweise vor, die eindeutig auf  Strangulationsmarken hindeuteten, und seine sieben Kollegen stimmten ihm zu. Nicht so die Geschworenen, für die jede Aussage Spilsburys eine unantastbare Wahrheit darstellte.

Die Jury zog sich für weniger als eine halbe Stunde zur Beratung zurück. Ihr Urteil lautete „schuldig im Sinne der Anklage“, und Mr. Justice Finlay verkündete das vorgesehene Strafmaß: Tod durch Erhängen.

An seine Eltern schrieb Norman:

 

„Sie sagen, die Schuld eines Mannes muss bewiesen werden; in welcher Weise wurde mir diese Schuld nachgewiesen?“

 

Seine Anwälte legten gegen das Urteil Berufung ein - vergebens. Der Court of Appeal vertraute auf Bernard Spilsburys Erkenntnisse und war nicht geneigt, diese durch einen Niemand wie Dr. Brontë in Zweifel ziehen zu lassen.

Norman Thornes letzte Worte waren:

 

„Das ist nicht fair! Ich hab es nicht getan.“

 

Thomas Pierrepoint hängte ihn im Gefängnis Wandsworth am 22. April 1925 - jenem Tag, an dem Elsie Cameron 27 Jahre alt geworden wäre. Normans sterbliche Hülle liegt in einem numerierten Grab auf dem Gefängnisfriedhof - sein trauriger Geist jedoch durchstreift noch heute in Gummistiefeln das unfruchtbare Land jenseits der Luxford Road. Wahrscheinlich war er ein Opfer unglücklicher Umstände. Doch fragen Sie ihn selbst, wenn Sie ihn treffen...

 

Einfahrt der Hühnerfarm mit Tor und Hütte.
Tor zur Wesley-Hühnerfarm. Im Hintergrund Thornes Wohnbaracke.

Im Jahr 1999 war das aus Eichenholz gefertigte Tor der Hühnerfarm auch 75 Jahre nach dem Mord noch relativ gut erhalten.

Robert barg zunächst lediglich die Pfosten und kehrte später zur alten Hühnerfarm zurück, um diverse Relikte und die verbliebenen Überreste des Eingangstors mit Hilfe der damaligen Besitzer des Grundstückes zu bergen.