DER MÖRDER MIT DEM SÄUREBAD
Chelsea, London/Crawley, Sussex
Exhibit: Originalbrief von John George Haigh
Das londoner Nobelviertel Chelsea mit seinen engen Gässchen und georgianischen Häusern ist heutzutage vornehmlich für die alljährliche Blumenschau und den Doppel-Null-Agenten James Bond berühmt. Doch in den 1940ern diente es John George Haig, dem sogenannten „Mörder mit dem Säurebad“ als Kulisse für seine Verbrechen. Haigh glaubte fälschlicherweise, den perfekten Mord begangen zu haben, und löste seine Opfer (angeblich nach dem Genuss ihres Blutes) in Schwefelsäure auf.
Unsere Geschichte beginnt in Nummer 79 Gloucester Road, London. In den 1940ern unterhielt Haigh hier eine Werkstatt, während er im nahe gelegenen Onslow Court Hotel (heute das Kensington Hotel) lebte und unter ständigem Geldmangel litt. Vor dem Verbrechen, das ihn schließlich zu Fall brachte, hatte der charmante und gut aussehende Mr Haigh bereits fünf Morde auf die gleiche Weise begangen (drei davon im Keller dieses Hauses) und dabei zwei Familien ausgelöscht.
Im Sommer des Jahres 1944 hatte Haigh einen alten Freund namens William Donald McSwann - Sohn betuchter Eltern - wiedergetroffen, den er acht Jahre zuvor kennengelernt hatte. Die Erneuerung dieser alten Freundschaft brachte auch häufige Besuche Mr. und Mrs. McSwanns in Nr. 79 mit sich. Und im August vertrauten sie Haigh einen Tisch zur Reparatur an. Als sich ihr Sohn am 9. September danach erkundigte, ob die Arbeit daran Fortschritte mache, bejahte Haigh und führte ihn nach einem gemeinsamen Pubbesuch in die Werkstatt hinunter. Dort erschoss er Donald McSwann, beraubte ihn seiner Wertsachen und löste dessen Leiche anschließend in einem Fass Schwefelsäure auf. Die Überreste goss er in den Abfluss. Tags darauf stattete er den McSwanns einen Besuch ab, richtete ihnen Grüße von ihrem Sohn aus und fügte hinzu, Donald sei für eine Weile untergetaucht, um der Einberufung zum Militärdienst zu entgehen.
Nachdem Mr. und Mrs. McSwann ein Jahr lang von Haigh gefälschte Briefe in der Handschrift ihres Sohnes erhalten hatten, bekamen sie 1945 nacheinander eine freundliche Einladung in die Gloucester Road, wo bereits ein Säurefass auf sie wartete. Niemand schöpfte Verdacht, als ein Mann, der sich William Donald McSwann nannte, sämtlichen Besitz der Familie veräußerte. Das auf diese Weise gemachte Vermögen brachte Haigh in nur zwei Jahren beim Pokerspiel und mit Pferdewetten durch. Im Frühjahr 1948 war ihm kaum mehr ein Penny geblieben - es war also wieder mal an der Zeit, das Säurefass aufzufüllen.
Seine nächsten Opfer, Dr. und Mrs Henderson, ein pensioniertes Ärzteehepaar, hatte Haigh im Jahr zuvor kennengelernt und sich ihnen als Makler vorgestellt. Unter dem Vorwand, ihnen ein interessantes Objekt südlich von London zu zeigen, fuhr er mit ihnen nach Crawley, wo er im Giles Yard in der Leopold Road eine neue Werkstatt angemietet hatte.
Dort erschoss er sie und verfuhr mit ihnen nach der bewerten Methode, die er schon auf die McSwanns angewandt hatte. Doch auch Schmuck und Geld der Hendersons waren bald aufgebraucht. Im Februar 1949 war Haighs Konto bereits wieder beunruhigend überzogen, seine Schecks drohten zu platzen, und die Mietschulden für sein Zimmer im Onslow Court Hotel beliefen sich mittlerweile auf beinahe 50 Pfund Sterling.
Das renommierte Haus befindet sich am Südende des Queen’s Gate an der Ecke Old Brompton Road. Haigh, der Zimmer Nr. 404 bewohnte, sah den Ausweg aus seiner finanziellen Misere in Gestalt Mrs. Olivia Durand-Deacons, einer wohlhabenden und allein stehenden Dame von 69 Jahren. Sie lebte in Zimmer Nr. 115 desselben Hotels. Haigh hatte schon vor einiger Zeit ein Auge auf ihren kostbaren Schmuck, die teuren Pelzmäntel und Kleider geworfen, und aus gelegentlicher Konversation am Frühstückstisch war ein tägliches Kaffeekränzchen geworden. Mrs. Durand-Deacon war eine Frau voller Geschäftsideen. Während des Mittagessens am Valentinstag kam das Gespräch auf künstliche Fingernägel, und sie erkundigte sich bei Haigh, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, diese aus Papier statt aus Kunststoff herzustellen und zu vermarkten.
Haigh war begeistert. Er wolle darüber nachdenken, antwortete er. Er dachte in der Tat darüber nach, aber seine Gedanken kreisten um die abgeschiedene Werkstatt in Crawley, seinen 38er Enfield Revolver und ein 200 Liter Fass, das er zuvor säurefest gemacht hatte. Am 17. Februar, zwei Tage nach ihrem Gespräch, teilte er Mrs. Durand-Deacon mit, er glaube eine Möglichkeit gefunden zu haben, wie man Papiernägel haltbar produzieren könne, und schlug vor, gleich am folgenden Nachmittag gemeinsam nach Crawley zu fahren. Was dort geschah, erzählte er später nach seiner Verhaftung den Beamten auf dem Polizeirevier Chelsea:
„Nachdem ich sie in das Lagerhaus in der Leopold Road gebracht hatte, schoss ich ihr in den Hinterkopf, während sie sich etwas Papier zur Herstellung künstlicher Fingernägel ansah. Dann ging ich zum Wagen, holte ein Trinkglas und machte einen Einschnitt. Ich glaube mit einem Taschenmesser, seitlich an ihrer Kehle. Ich füllte das Glas mit Blut und trank es aus. Anschließend nahm ich ihr den Mantel ab, den sie trug, [...] und die Juwelen, Ringe, Halskette, Ohrringe und Kreuz, und bugsierte sie (die Leiche) in ein fünfundvierzig Gallonen Fass. Bevor ich ihre Handtasche hinein warf, nahm ich das Bargeld an mich [...] Ich füllte dann unter Zuhilfenahme einer Handpumpe Schwefelsäure in den Behälter und ließ sie einwirken. Ich sollte erwähnen, dass ich, während ich sie in dem Fass hatte und die Säure hineinpumpte, zwischendurch auf eine Tasse Tee im Ancient Prior’s vorbeischaute.“
Nach getaner Arbeit verzehrte Haigh im George Hotel in Crawley ein herzhaftes Abendessen und war gegen 23.00 Uhr zurück in London. Mrs. Durand-Deacons Abwesenheit wurde nicht erst am folgenden Morgen beim Frühstück bemerkt. Wie Haigh von einer Kellnerin erfuhr, hatte sich Mrs. Constance Lane, eine enge Freundin Olivia Durand-Deacons, bereits gestern Abend nach ihr erkundigt. Alarmiert entschied er sich, Mrs. Lane anzusprechen und ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen.
„Wissen Sie irgend etwas über Mrs. Durand-Deacon? Ist sie krank? Wissen Sie, wo sie ist?“
Ihre Antwort war für Haigh wenig beruhigend:
„Wissen Sie denn nicht, wo sie sich aufhält? Wenn ich sie richtig verstanden habe, wollten Sie sie doch zu Ihrer Fabrik in Horsham bringen?“
Haigh bejahte, fügte aber hinzu, dass es nicht dazu gekommen sei, da die Dame ihn versetzt habe. Dann verabschiedete er sich höflich und nutzte den Tag, um Mrs. Durand-Deacons Schmuck und Pelzmantel zu verkaufen. Am nächsten Morgen sprach er Mrs. Lane erneut an. Ihm war zu Ohren gekommen, dass sie erwog, die Polizei aufzusuchen, und er erbot sich, sie zu begleiten. Eine Entscheidung, die sich für ihn als fataler Fehler herausstellte.
Der damalige Commissioner von Scotland Yard, Sir Harold Scott, schrieb in seiner 1954 erschienen Autobiographie:
„Sie begaben sich gemeinsam zur Polizeiwache Chelsea, wo Haigh ganz besonderen Wert darauf legte, dass man seinen Namen festhielt. Der weibliche Police Sergeant Lambourne fing an, Routinefragen zu der vermissten Frau zu stellen - einer von vielen, die der Polizei jede Woche gemeldet wurden. Zu diesem Zeitpunkt unterschied sich Mrs. Durand-Deacons Verschwinden in keiner Weise von anderen Fällen. Sergeant Lambourne jedoch sah Haigh, und mit jenem siebten Sinn, den jeder gute Polizist - oder Polizistin - besitzt, meldete sie ihren Vorgesetzten, dass sie den Verdacht habe, mit ihm stimme etwas nicht. Haigh, der die Aufmerksamkeit selbst auf sich gelenkt hatte, konnte nun dem Suchscheinwerfer nicht mehr entgehen.“
Dies schien ihm bewusst geworden zu sein, denn er fuhr umgehend nach Crawley um festzustellen, ob sich der Körper inzwischen vollends aufgelöst hatte. Doch ein paar Knochen und die Plastikhandtasche waren noch übrig. Er schöpfte daraufhin an der Oberfläche schwimmendes Körperfett ab und pumpte noch einmal frische Säure in das Fass, ehe er es am nächsten Tag ausleerte und die Handtasche hinter einem Ziegelsteinhaufen versteckte.
Sergeant Lambourne hatte unterdessen Nachforschungen angestellt und eine Akte mit Haighs Vorstrafen gefunden. In der Folge schickte Scotland Yard ein Team der Spurenabteilung und den Pathologen Professor Keith Simpson in die Leopold Road. Neben Mrs. Durand-Deacons Tasche entdeckte er dort später auch ihre Zahnprothese und drei Gallensteine. In der Werkstatt selbst wurden Blutspuren, der Revolver, eine Gasmaske, Gummihandschuhe und eine säurefeste Schürze gefunden.
John George Haigh wurde festgenommen und zur weiteren Befragung aufs Revier in Chelsea gebracht. Das Spiel war aus, das ahnte er jetzt. Er erkundigte sich danach, wie groß die Chancen seien, aus der Heilanstalt von Broadmoor entlassen zu werden.
Als man ihm die Auskunft darüber verweigerte, sagte er:
„Ich habe sie in Säure aufgelöst. Ihr findet den Schlamm, der übrig ist, in der Leopold Road. Jede Spur ist fort. Wie wollt ihr Mord nachweisen, wenn es keine Leiche gibt?“
Anschließend legte Haigh ein umfangreiches Geständnis ab, welches die McSwanns, die Henderson und drei weitere unbekannte Personen einschloss. Ob Haighs Behauptung, er habe das Blut all seiner Opfer getrunken und aus einem Zwang heraus getötet, den Tatsachen entsprach, ist ungewiss. Vor Gericht versuchte er jedenfalls verzweifelt, sich als geistesgestört einstufen zu lassen, um der Todesstrafe zu entgehen, doch dieser Versuch misslang. Trotz der Stimmen, die er angeblich hörte und der plötzlichen Lachanfälle, die ihn im Laufe der Verhandlung immer wieder überfielen, wurde John George Haigh des vorsätzlichen Mordes an Mrs. Durand-Deacon schuldig gesprochen, und am 10. August um 9.00 Uhr morgens im Gefängnis Wandsworth von Albert Pierrepoint gehängt.